VERTRAUTE DINGE / FREMDE DINGE
MARIE RUPRECHT & ANTONIA RIEDERER
GALERIE FORUM Wels
In der Ausstellung Vertraute Dinge, fremde Dinge wird der Mensch in Beziehung gesetzt zu seinem Lebensraum und zu den Dingen die ihn umgeben. Die Bedeutung der Dinge verändert sich mit ihren Zusammenhängen. Was einem vor kurzem noch vertraut war, kann wenig später Befremden auslösen. Welche Dinge bedeuten Rettung, welche Untergang? Die Bedeutung liegt nicht im Gegenstand selbst sondern in den Beziehungen zum Gegenstand. Dinge können also immer kontextspezifisch gedeutet werden.
“Dinge verraten etwas über Gesellschaften und ihre Mitglieder. Sie repräsentieren Wissen und Geschichte(n), verdichten Identitätserfahrungen und markieren sowohl Zugehörigkeiten wie auch Abgrenzungen. Dinge weisen über sich hinaus, sie tragen Bedeutungen in sich, die im Umgang mit ihnen zum Leben erweckt werden." *
Das Vertraute in ein neues Licht rückend konzentriert sich der Blick der beiden Künstlerinnen auf das Vorhandende, das Vorgefundene. Das scheinbar Zufällige, das Individuelle wird zum Spiegel des großen Ganzen.
* J. Reuter, O. Berli (Hrsg.), Dinge befremden: Essays zu materieller Kultur, Springer VS, 2016
“Dinge verraten etwas über Gesellschaften und ihre Mitglieder. Sie repräsentieren Wissen und Geschichte(n), verdichten Identitätserfahrungen und markieren sowohl Zugehörigkeiten wie auch Abgrenzungen. Dinge weisen über sich hinaus, sie tragen Bedeutungen in sich, die im Umgang mit ihnen zum Leben erweckt werden." *
Das Vertraute in ein neues Licht rückend konzentriert sich der Blick der beiden Künstlerinnen auf das Vorhandende, das Vorgefundene. Das scheinbar Zufällige, das Individuelle wird zum Spiegel des großen Ganzen.
* J. Reuter, O. Berli (Hrsg.), Dinge befremden: Essays zu materieller Kultur, Springer VS, 2016
Mag. Wiltrud Katharina Hackl zu den Arbeiten von Marie Ruprecht und Antonia Riederer
Der Titel, den die beiden Künstlerinnen ihrer Ausstellung gegeben haben, könnte treffender nicht sein: bedenken wir, dass das deutsche Wort Ding bzw. das englische Wort Thing etymologisch einen Ort, an dem alle zusammenkommen, einen Ort der Versammlung bezeichnet – zu erkennen, wie u.a. Bruno Latour ausführt, an nordischen und angelsächsischen Worten wie Storting für das Parlament in Norwegen oder Althing für den isländischen Kongress. Ein Ding ist also ursprünglich ein Ort, an dem Sachverhalte und Gesetze verhandelt werden, an dem auch gestritten und diskutiert wird, ein Ort, an dem sich Gruppen nicht versammeln, weil sie einer Meinung, sondern weil sie unterschiedlicher Meinung wären. Insofern ist die Distinktion zwischen vertraut und fremd schon im Titel dieser Ausstellung und die Bandbreite, die sich darin eröffnet, durchaus sinnvoll, vor allem aber ist sie spannend, weil diskursiv.
Dinge sind strittig, sie fordern uns heraus, sie im wahrsten Sinn des Wortes zu begreifen und kaum, dass wir sie mit unserer Geschichte, mit unserer Erinnerung aufgeladen haben, machen sie es uns schwer uns ihrer zu entledigen. Gleichzeitig – und das wird in dieser Ausstellung ebenfalls wunderbar deutlich – sind es die Dinge, die uns am Leben halten können, die uns Heimat sind, auch und gerade, wenn wir sie vermissen.
Wir wollen uns auf die Dinge verlassen.
Eine Haltung, die im letzten Raum zu entdecken ist, im dinglosen Raum, der so voller Sehnsucht und Hoffnung ist, danach, am Horizont Dinge zu erhaschen, Fata Morganen, seien es auch bloß Täuschungen, die würden uns – in diesem Zwischenraum, also noch nicht ganz weg, noch nicht einmal auf dem Weg und schon gar keine Spur von anderswo angekommen - doch reichen, um ein Gefühl von Festhalten, von Dasein, womöglich von Heimat entwickeln zu können. Aber – da ist nichts, außer Täuschungen und auch Ent-Täuschungen, w
ie die Künstlerinnen in der Erzählung Siegfried Kracauers „Russische Zigaretten“ verdeutlichen.
Ein Nebenaspekt in dieser Geschichte baut sich – so finde ich – in dieser Ausstellung von Marie Ruprecht und Antonia Riederer zu einem roten Faden aus: es ist eine Form von Gleichzeitigkeit, die durch Dinge, besser gesagt durch ihre Schatten, ihren Abdruck, ihre trügerische Allgemeingültigkeit und durch ihre Abwesenheit ermöglicht wird. Denn haptisch präsent sind diese Dinge in dieser Ausstellung kein einziges Mal. Es gibt keinen Löffel, keine Vase, keine Farbtube hier – es gibt nur ihre Repräsentanz durch künstlerische Repräsentation.
Im dinglosen Raum erkennen Sie, wie Menschen gleichzeitig hier und bereits auf der Flucht sind und wie rasch es sich ereignen kann, dass diese anderen Menschen eines Tages wir selbst sein können. Durch den sehnsuchtsvollen Blick auf einen dinglosen Horizont, den uns die Künstlerinnen hier anbieten, der Neues verspricht, aber auch so vieles abbricht, überbrücken wir diesen Zwischenraum zwischen gestern und morgen, zwischen uns und den anderen, zwischen hier und auf der Flucht.
Hier in diesem Raum hingegen verdichtet sich der Blick, nehmen Dinge Gestalt an – die Dinge in den Händen von übergroßen Figuren in Antonia Riederers Bildern etwa nehmen eine zentrale Rolle ein, und verlangen nach Betrachtung – gleichzeitig vollzieht die Künstlerin auch hier – wie die Kunsthistorikerin Isabella Minichmayer schon beschrieben hat: „(…) eine Anonymisierung der Welt (…), aus der ein Anspruch auf Allgemeingültigkeit und Dauerhaftigkeit spricht.“
Dadurch, so Riederer stehen die hier gezeigten Objekte – eine Blume, ein Buch etc. für etwas, das für uns alle einmal eine Bedeutung hatte oder hat. Dinge, die wir gerne auf ein Podest stellen möchten, völlig unabhängig von ihrem realen, bezifferbaren Wert. Der Witz gerade an diesen Bildern, die im Ganzen ein bisschen distanziert oder beiläufig scheinen, ist die fast absurde Größe und das Format, mit denen die Künstlerin den Sujets etwas sakral Anmutendes, jedenfalls etwas sehr Bedeutsames, an Kirchenfenster erinnernd verleiht.
Auch Marie Ruprechts Arbeiten hier sind als eine Umdeutung interpretierbar: Landschaften und Horizonte – Fenster in die Welt – verschmelzen zu einer Einheit, stehen für sich selbst, sind sich selbst genug. Die Natur ist sich hier in diesen Bildern selbst genug – und erhalten gerade durch diese selbstbewusste Haltung, die keiner Hinterfragung bedarf, etwas Zaubrisches.
Wir nähern uns den Dingen in ihrer eigentlichen Form – im Raum nebenan stoßen Sie auf ein Mobile mit den Arbeiten Antonia Riederers – doch Achtung – es sind einige Fallen dabei - Spiegel verdeutlichen einerseits den Faktor Zeit, mit dem wir uns selbst- die Repräsentanz unserer selbst – betrachten; andererseits verweist die Künstlerin auf das sich In-bezug-setzen mit jeder Form von Ding – ein Ding quasi immer als eine Repräsentanz unserer selbst: jeder Spiegel ist auch ein Rahmen und jeder Rahmen kann zum Spiegel werden.
Mit den Prägedrucken von Marie Ruprecht daneben führt uns die Künstlerin wieder näher an die Dinge heran und errichtet doch – wie schon in den Leinenbildern hier – wieder etwas geheimnisvoll Anmutendes, Rätselhaftes rund um sie – ganz so wie es auch das verfitzte Dinge Odradek umgibt, in Franz Kafkas Geschichte. Ein Ding, das ein Eigenleben entwickelt bzw. selbst zum Leben erwacht, dessen Funktionalität schwer zu entschlüsseln ist. Sie finden den Odradek übrigens auch hier in dieser Ausstellung wieder, wie er sich als Löffel ausgibt und sich zu einem Bild von Antonia Riederer gesellt.
Diese ihnen in dieser Ausstellung zugeschriebene Fähigkeit, sich zu verändern, sich aufzulösen, gleichzeitig an unterschiedlichen Orten zu sein, uns sowohl immaterielle Erinnerung, Traum, Sehnsucht als auch Angreifbares zu sein, das an unserer Seite bleibt – verleiht den Dingen etwas Lebendiges, etwas Eigenständiges, das wir als Menschen, die wir uns ja nur zu oft als die einzigen fühlenden, denkenden, sprechenden und dadurch mit Rechten ausgestatteten Lebewesen anerkennen, gerne übersehen oder negiert. Hier wird ein weiterer Zugang erkennbar in dieser Ausstellung, der beide Künstlerinnen vereint – die Fähigkeit zu erkennen, dass die vielleicht auf den ersten Blick unscheinbaren Dinge jene sind, die uns im Leben begleiten, erinnern, wichtig sind, auch retten können. Und dass sie es deshalb wert sind, sich mit ihnen mehr als sonst üblich in Bezug zu setzen. Das vollführt Marie Ruprecht mit ihrer Serie „Die Welt der Dinge“, auf denen sie mit einem Pinselstrich Dinge – und zwar ohne Blick von ihnen abzuwenden – auf Papier bringt, die sich zum Zeitpunkt des Arbeitens in unmittelbarer Nähe befanden: eine Schere, Werkzeuge, ein Schreibtisch etc. Die Künstlerin selbst beschreibt es als eine äußerst intensive Übung, eine Zen Übung fast, mit diesen Dingen in einen Dialog zu treten, sie zu erkennen, und ihre Seele zu Papier zu bringen. Und mit diesem sehr schönen Gedanken möchte ich schließen – sich einzulassen auf die Arbeiten hier in dieser Ausstellung und ein Stück Seele zu erkennen, und wenn es auch nur die eigene sein mag, die sich spiegelt.
Wolfgang Maria Reiter / Leiter der Galerie FORUM zu den Arbeiten von Marie Ruprecht und Antonia Riederer
Schon der Titel „Vertraute Dinge, fremde Dinge“ lässt erahnen, dass dem Menschen die Welt in ihrer Gesamtheit, in dem von ihm konsumierten Ausschnitt teilweise oder gar zum allergrößten Teil fremd bleibt. Wie wir die Dinge schauen, ist abhängig von unserer Befindlichkeit und Verfasstheit.So unterschiedlich, wie Menschen auf Dinge reagieren, ihr Wesen erleben oder ihre Form zu gebrauchen vermögen, so konträr ist auch die künstlerische Annäherung, Sichtbarmachung, Umsetzung, Transformierung der beiden Künstlerinnen.
Zahlreiche Redewendungen und Sprichwörter vermitteln, wie sich die Dingwelt mit unserem Leben zu verknüpfen weiß, wie die den Dingen angedichtete Wesenheit uns zu beleben vermag: den Dingen auf den Grund gehen - den Dingen ihren natürlichen Lauf lassen - der Dinge harren, die da kommen - ein Ding der Unmöglichkeit sein - guter Dinge sein - nach Lage der Dinge - nicht mit rechten Dingen zugehen - über den Dingen stehen - unverrichteter Dinge - vor allen Dingen - der Lauf der Dinge - Gut Ding braucht Weile - Aller guten Dinge sind drei - Jedes Ding hat zwei Seiten.
Hingegen behauptet ein möglicherweise aus China stammender Aphorismus: „Jedes Ding hat drei Seiten: eine, die du siehst, eine, die ich sehe und eine, die wir beide nicht sehen.“
Karl Valentin bringt eine überaus menschliche Variante ins Spiel: „Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative und eine komische.“
Ludwig Wittgenstein: „Wir benennen die Dinge und können nun über sie reden. Uns in der Rede auf sie beziehen.“
So machen wir sie uns dienlich, gefügig, untertan, auch wenn eigentlich wir abhängig sind von ihrer Zuwendung.
Wenn wir die Dinge als unser Gegenüber erkennen, sie mit ihrem eigentlichen Namen rufen, vermögen wir inmitten ihrer Welt zu leben und uns in ihnen zu erfinden. Sie machen uns mit unserem Leben vertraut, selbst wenn dann und wann „Ding“ im Stammeln als Ersatz- und Hilfswort „de Dings“ oder „des Dings da“ für möglicherweise Unnennbares, noch Unbenanntes, augenblicklich begrifflich nicht in den Sinn-kommen- wollendes, für Entfallenes oder Vergessenes über die Lippen stolpert.
Was hinterlassen die Dinge auf, in, zwischen uns? Berühren, beeindrucken, erleichtern, beschweren, beleben sie oder bewegen sie gar etwas? Zweifellos können wir nur leben „Im Angesicht der Dinge“, so der Titel von Jutta Kaisers Buch zu Adalbert Stifter.
Von dieser Lebensnotwendigkeit sprechen auch die hier ausgestellten Arbeiten. Mehr noch: Heute erleben wir uns selbst im Ding-sein, bedenken und verhandeln unsere eigene Dinglichkeit – in den Spiegeln der Inszenierung.
„Alles dasjenige“, so Jutta Kayser, „das körperlich oder geistig Gestalt annimmt, kann von Stifter als Ding bezeichnet werden. Es wird zum Synonym für das Daseiende überhaupt.“ Jeder Gedanke, jedes Wort, jede Tat kommt an im Ding – und wird verdinglicht. Macht das Vertraute blind, blind für das Fremde?
Vor allem in Literatur und Bildender Kunst wird einerseits ihre für uns verfügbare Identität bestimmt, andererseits befreien sich die Dinge in der künstlerischen Auseinandersetzung von der ihnen zugewiesenen alltäglichen Notwendigkeit und Bedeutsamkeit, von tradierten Beziehungsmustern, heimatlicher Bedingt- und Verbundenheit sowie systematischer Weltverhaftung.
Was fangen die Dinge, und was stellt Kunst mit uns an?
Joseph Nemeth, Bildender Künstler und Musiker aus Wels, 1940–1998: „…Kunst ist ja nur geistig wahrnehmbar, sie ist immer gerichtet an den Geist und an sonst gar nichts, d. h. die Dinge, auch die Kunstwerke an und für sich, sind äußerst langweilig…“
Der Schriftsteller Adalbert Stifter sieht etwas „Unnennbares“ in den Dingen. Unablässiges Bemühen ist notwendig es zu ergreifen und ihre eigentliche Wahrheit zu erschließen. Ausstellungen wie diese machen uns bereit für herausfordernde Beziehungen. Langeweile wird dabei keine aufkommen.
Adalbert Stifter, „Nachsommer“: „Wenn wir nur in uns selber in Ordnung wären, dann würden wir viel mehr Freude an den Dingen dieser Erde haben. (…) Ich hörte selber oft nur mein eigenes Innere reden, nicht die Dinge um mich.“ An anderer Stelle vertritt der Schriftsteller die Meinung, dass der Mensch, der das Leben und seine Erscheinungen auf sich wirken lässt, nach und nach „gerecht wird“ für die Vorkommnisse des Lebens.
Der Titel, den die beiden Künstlerinnen ihrer Ausstellung gegeben haben, könnte treffender nicht sein: bedenken wir, dass das deutsche Wort Ding bzw. das englische Wort Thing etymologisch einen Ort, an dem alle zusammenkommen, einen Ort der Versammlung bezeichnet – zu erkennen, wie u.a. Bruno Latour ausführt, an nordischen und angelsächsischen Worten wie Storting für das Parlament in Norwegen oder Althing für den isländischen Kongress. Ein Ding ist also ursprünglich ein Ort, an dem Sachverhalte und Gesetze verhandelt werden, an dem auch gestritten und diskutiert wird, ein Ort, an dem sich Gruppen nicht versammeln, weil sie einer Meinung, sondern weil sie unterschiedlicher Meinung wären. Insofern ist die Distinktion zwischen vertraut und fremd schon im Titel dieser Ausstellung und die Bandbreite, die sich darin eröffnet, durchaus sinnvoll, vor allem aber ist sie spannend, weil diskursiv.
Dinge sind strittig, sie fordern uns heraus, sie im wahrsten Sinn des Wortes zu begreifen und kaum, dass wir sie mit unserer Geschichte, mit unserer Erinnerung aufgeladen haben, machen sie es uns schwer uns ihrer zu entledigen. Gleichzeitig – und das wird in dieser Ausstellung ebenfalls wunderbar deutlich – sind es die Dinge, die uns am Leben halten können, die uns Heimat sind, auch und gerade, wenn wir sie vermissen.
Wir wollen uns auf die Dinge verlassen.
Eine Haltung, die im letzten Raum zu entdecken ist, im dinglosen Raum, der so voller Sehnsucht und Hoffnung ist, danach, am Horizont Dinge zu erhaschen, Fata Morganen, seien es auch bloß Täuschungen, die würden uns – in diesem Zwischenraum, also noch nicht ganz weg, noch nicht einmal auf dem Weg und schon gar keine Spur von anderswo angekommen - doch reichen, um ein Gefühl von Festhalten, von Dasein, womöglich von Heimat entwickeln zu können. Aber – da ist nichts, außer Täuschungen und auch Ent-Täuschungen, w
ie die Künstlerinnen in der Erzählung Siegfried Kracauers „Russische Zigaretten“ verdeutlichen.
Ein Nebenaspekt in dieser Geschichte baut sich – so finde ich – in dieser Ausstellung von Marie Ruprecht und Antonia Riederer zu einem roten Faden aus: es ist eine Form von Gleichzeitigkeit, die durch Dinge, besser gesagt durch ihre Schatten, ihren Abdruck, ihre trügerische Allgemeingültigkeit und durch ihre Abwesenheit ermöglicht wird. Denn haptisch präsent sind diese Dinge in dieser Ausstellung kein einziges Mal. Es gibt keinen Löffel, keine Vase, keine Farbtube hier – es gibt nur ihre Repräsentanz durch künstlerische Repräsentation.
Im dinglosen Raum erkennen Sie, wie Menschen gleichzeitig hier und bereits auf der Flucht sind und wie rasch es sich ereignen kann, dass diese anderen Menschen eines Tages wir selbst sein können. Durch den sehnsuchtsvollen Blick auf einen dinglosen Horizont, den uns die Künstlerinnen hier anbieten, der Neues verspricht, aber auch so vieles abbricht, überbrücken wir diesen Zwischenraum zwischen gestern und morgen, zwischen uns und den anderen, zwischen hier und auf der Flucht.
Hier in diesem Raum hingegen verdichtet sich der Blick, nehmen Dinge Gestalt an – die Dinge in den Händen von übergroßen Figuren in Antonia Riederers Bildern etwa nehmen eine zentrale Rolle ein, und verlangen nach Betrachtung – gleichzeitig vollzieht die Künstlerin auch hier – wie die Kunsthistorikerin Isabella Minichmayer schon beschrieben hat: „(…) eine Anonymisierung der Welt (…), aus der ein Anspruch auf Allgemeingültigkeit und Dauerhaftigkeit spricht.“
Dadurch, so Riederer stehen die hier gezeigten Objekte – eine Blume, ein Buch etc. für etwas, das für uns alle einmal eine Bedeutung hatte oder hat. Dinge, die wir gerne auf ein Podest stellen möchten, völlig unabhängig von ihrem realen, bezifferbaren Wert. Der Witz gerade an diesen Bildern, die im Ganzen ein bisschen distanziert oder beiläufig scheinen, ist die fast absurde Größe und das Format, mit denen die Künstlerin den Sujets etwas sakral Anmutendes, jedenfalls etwas sehr Bedeutsames, an Kirchenfenster erinnernd verleiht.
Auch Marie Ruprechts Arbeiten hier sind als eine Umdeutung interpretierbar: Landschaften und Horizonte – Fenster in die Welt – verschmelzen zu einer Einheit, stehen für sich selbst, sind sich selbst genug. Die Natur ist sich hier in diesen Bildern selbst genug – und erhalten gerade durch diese selbstbewusste Haltung, die keiner Hinterfragung bedarf, etwas Zaubrisches.
Wir nähern uns den Dingen in ihrer eigentlichen Form – im Raum nebenan stoßen Sie auf ein Mobile mit den Arbeiten Antonia Riederers – doch Achtung – es sind einige Fallen dabei - Spiegel verdeutlichen einerseits den Faktor Zeit, mit dem wir uns selbst- die Repräsentanz unserer selbst – betrachten; andererseits verweist die Künstlerin auf das sich In-bezug-setzen mit jeder Form von Ding – ein Ding quasi immer als eine Repräsentanz unserer selbst: jeder Spiegel ist auch ein Rahmen und jeder Rahmen kann zum Spiegel werden.
Mit den Prägedrucken von Marie Ruprecht daneben führt uns die Künstlerin wieder näher an die Dinge heran und errichtet doch – wie schon in den Leinenbildern hier – wieder etwas geheimnisvoll Anmutendes, Rätselhaftes rund um sie – ganz so wie es auch das verfitzte Dinge Odradek umgibt, in Franz Kafkas Geschichte. Ein Ding, das ein Eigenleben entwickelt bzw. selbst zum Leben erwacht, dessen Funktionalität schwer zu entschlüsseln ist. Sie finden den Odradek übrigens auch hier in dieser Ausstellung wieder, wie er sich als Löffel ausgibt und sich zu einem Bild von Antonia Riederer gesellt.
Diese ihnen in dieser Ausstellung zugeschriebene Fähigkeit, sich zu verändern, sich aufzulösen, gleichzeitig an unterschiedlichen Orten zu sein, uns sowohl immaterielle Erinnerung, Traum, Sehnsucht als auch Angreifbares zu sein, das an unserer Seite bleibt – verleiht den Dingen etwas Lebendiges, etwas Eigenständiges, das wir als Menschen, die wir uns ja nur zu oft als die einzigen fühlenden, denkenden, sprechenden und dadurch mit Rechten ausgestatteten Lebewesen anerkennen, gerne übersehen oder negiert. Hier wird ein weiterer Zugang erkennbar in dieser Ausstellung, der beide Künstlerinnen vereint – die Fähigkeit zu erkennen, dass die vielleicht auf den ersten Blick unscheinbaren Dinge jene sind, die uns im Leben begleiten, erinnern, wichtig sind, auch retten können. Und dass sie es deshalb wert sind, sich mit ihnen mehr als sonst üblich in Bezug zu setzen. Das vollführt Marie Ruprecht mit ihrer Serie „Die Welt der Dinge“, auf denen sie mit einem Pinselstrich Dinge – und zwar ohne Blick von ihnen abzuwenden – auf Papier bringt, die sich zum Zeitpunkt des Arbeitens in unmittelbarer Nähe befanden: eine Schere, Werkzeuge, ein Schreibtisch etc. Die Künstlerin selbst beschreibt es als eine äußerst intensive Übung, eine Zen Übung fast, mit diesen Dingen in einen Dialog zu treten, sie zu erkennen, und ihre Seele zu Papier zu bringen. Und mit diesem sehr schönen Gedanken möchte ich schließen – sich einzulassen auf die Arbeiten hier in dieser Ausstellung und ein Stück Seele zu erkennen, und wenn es auch nur die eigene sein mag, die sich spiegelt.
Wolfgang Maria Reiter / Leiter der Galerie FORUM zu den Arbeiten von Marie Ruprecht und Antonia Riederer
Schon der Titel „Vertraute Dinge, fremde Dinge“ lässt erahnen, dass dem Menschen die Welt in ihrer Gesamtheit, in dem von ihm konsumierten Ausschnitt teilweise oder gar zum allergrößten Teil fremd bleibt. Wie wir die Dinge schauen, ist abhängig von unserer Befindlichkeit und Verfasstheit.So unterschiedlich, wie Menschen auf Dinge reagieren, ihr Wesen erleben oder ihre Form zu gebrauchen vermögen, so konträr ist auch die künstlerische Annäherung, Sichtbarmachung, Umsetzung, Transformierung der beiden Künstlerinnen.
Zahlreiche Redewendungen und Sprichwörter vermitteln, wie sich die Dingwelt mit unserem Leben zu verknüpfen weiß, wie die den Dingen angedichtete Wesenheit uns zu beleben vermag: den Dingen auf den Grund gehen - den Dingen ihren natürlichen Lauf lassen - der Dinge harren, die da kommen - ein Ding der Unmöglichkeit sein - guter Dinge sein - nach Lage der Dinge - nicht mit rechten Dingen zugehen - über den Dingen stehen - unverrichteter Dinge - vor allen Dingen - der Lauf der Dinge - Gut Ding braucht Weile - Aller guten Dinge sind drei - Jedes Ding hat zwei Seiten.
Hingegen behauptet ein möglicherweise aus China stammender Aphorismus: „Jedes Ding hat drei Seiten: eine, die du siehst, eine, die ich sehe und eine, die wir beide nicht sehen.“
Karl Valentin bringt eine überaus menschliche Variante ins Spiel: „Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative und eine komische.“
Ludwig Wittgenstein: „Wir benennen die Dinge und können nun über sie reden. Uns in der Rede auf sie beziehen.“
So machen wir sie uns dienlich, gefügig, untertan, auch wenn eigentlich wir abhängig sind von ihrer Zuwendung.
Wenn wir die Dinge als unser Gegenüber erkennen, sie mit ihrem eigentlichen Namen rufen, vermögen wir inmitten ihrer Welt zu leben und uns in ihnen zu erfinden. Sie machen uns mit unserem Leben vertraut, selbst wenn dann und wann „Ding“ im Stammeln als Ersatz- und Hilfswort „de Dings“ oder „des Dings da“ für möglicherweise Unnennbares, noch Unbenanntes, augenblicklich begrifflich nicht in den Sinn-kommen- wollendes, für Entfallenes oder Vergessenes über die Lippen stolpert.
Was hinterlassen die Dinge auf, in, zwischen uns? Berühren, beeindrucken, erleichtern, beschweren, beleben sie oder bewegen sie gar etwas? Zweifellos können wir nur leben „Im Angesicht der Dinge“, so der Titel von Jutta Kaisers Buch zu Adalbert Stifter.
Von dieser Lebensnotwendigkeit sprechen auch die hier ausgestellten Arbeiten. Mehr noch: Heute erleben wir uns selbst im Ding-sein, bedenken und verhandeln unsere eigene Dinglichkeit – in den Spiegeln der Inszenierung.
„Alles dasjenige“, so Jutta Kayser, „das körperlich oder geistig Gestalt annimmt, kann von Stifter als Ding bezeichnet werden. Es wird zum Synonym für das Daseiende überhaupt.“ Jeder Gedanke, jedes Wort, jede Tat kommt an im Ding – und wird verdinglicht. Macht das Vertraute blind, blind für das Fremde?
Vor allem in Literatur und Bildender Kunst wird einerseits ihre für uns verfügbare Identität bestimmt, andererseits befreien sich die Dinge in der künstlerischen Auseinandersetzung von der ihnen zugewiesenen alltäglichen Notwendigkeit und Bedeutsamkeit, von tradierten Beziehungsmustern, heimatlicher Bedingt- und Verbundenheit sowie systematischer Weltverhaftung.
Was fangen die Dinge, und was stellt Kunst mit uns an?
Joseph Nemeth, Bildender Künstler und Musiker aus Wels, 1940–1998: „…Kunst ist ja nur geistig wahrnehmbar, sie ist immer gerichtet an den Geist und an sonst gar nichts, d. h. die Dinge, auch die Kunstwerke an und für sich, sind äußerst langweilig…“
Der Schriftsteller Adalbert Stifter sieht etwas „Unnennbares“ in den Dingen. Unablässiges Bemühen ist notwendig es zu ergreifen und ihre eigentliche Wahrheit zu erschließen. Ausstellungen wie diese machen uns bereit für herausfordernde Beziehungen. Langeweile wird dabei keine aufkommen.
Adalbert Stifter, „Nachsommer“: „Wenn wir nur in uns selber in Ordnung wären, dann würden wir viel mehr Freude an den Dingen dieser Erde haben. (…) Ich hörte selber oft nur mein eigenes Innere reden, nicht die Dinge um mich.“ An anderer Stelle vertritt der Schriftsteller die Meinung, dass der Mensch, der das Leben und seine Erscheinungen auf sich wirken lässt, nach und nach „gerecht wird“ für die Vorkommnisse des Lebens.
Vernissage:
Mittwoch, 3. April 2019, 20 Uhr in der Galerie Forum, Wels, Stadtplatz 8,
Begrüßung:
Wolfgang M. Reiter / Leiter der Galerie Forum
Zur Ausstellung spricht:
Mag. Wiltrud Hackl / Journalistin
Dauer der Ausstellung:
04.04. - 27.04. 2019
Öffnungszeiten:
Mi - Fr 16.00 - 19.00 Uhr / Sa 10.00 - 12.00 Uhr
www.galerie-forum.at
Mittwoch, 3. April 2019, 20 Uhr in der Galerie Forum, Wels, Stadtplatz 8,
Begrüßung:
Wolfgang M. Reiter / Leiter der Galerie Forum
Zur Ausstellung spricht:
Mag. Wiltrud Hackl / Journalistin
Dauer der Ausstellung:
04.04. - 27.04. 2019
Öffnungszeiten:
Mi - Fr 16.00 - 19.00 Uhr / Sa 10.00 - 12.00 Uhr
www.galerie-forum.at